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"Am Meer dieses Licht" erzählt rührende Großmutter-Enkelin-Beziehung

am meer dieses licht

Es ist immer Schokolade im Nachttisch, dabei mag Madame Favre gar keine. Sie hat keinen Hunger mehr. Laura sitzt am Bett ihrer Großmama, die seit einem Sturz im Krankenhaus liegt. Jeden Tag besucht die Enkeltochter ihre Großmama. Das fällt beiden nicht immer leicht. Laura erträgt den Geruch nicht und spürt eine Last während der Besuche. Manchmal schweigen beide den ganzen Tag. Doch dann nimmt Laura die Hand ihrer Großmutter und möchte nicht nach Hause gehen. „Am Meer dieses Licht“ heißt der neue Roman der französischen Autorin Fanny Wobmann. Nun liegt die anmutende Großmutter-Enkelin-Geschichte im deutschen vor, übersetzt von Lis Künzli.

Es ist Winter und draußen schneit es. „Das Schweigen bringt die Flocken in Rage, und du schaust mir in die Augen. Da fange ich an, dir zu erzählen.“ Laura fängt an ihrer Großmama am Krankenbett von ihrem Leben in England zu erzählen. Ihr Chef hat sie beruflich nach London geschickt, damit sie ihre Sprachkenntnisse verbessert. Laura berichtet von ihrer Sprachlehrerin, die immer einen Rock und ein Hemd im selben Muster trägt, von ihrem Liebhaber, den sie immer nur als ihren Strandmann bezeichnet und dem Meer. Die Großmutter hört zu, meistens zumindest. Zwischendurch erzählt Lauras Großmutter von früher, als sie noch ein Kind war. Dann erzählt sie von den Schäfchen, die bei ihnen zu Hause zur Welt kamen oder vom Kaufladen, in dem sie ihr Leben lang gearbeitet hat.

Die Handlung des Romans ist einfach: Eine Enkeltochter besucht ihre Großmutter jeden Tag im Krankenhaus. Doch der Roman ist mehr als nur einfach. Der Text kommt wie auf leichten Füßen, sinnlich und bildhaft, daher. Dabei thematisiert der Roman das so schwere und oft still gehaltene Thema Tod. Es geht aber auch um neuen Lebens, das in Lauras Bauch wächst. „Dieses Licht am Meer“ handelt also von zwei Menschen, die sich auf eine neue, ganz intensive Art kennenlernen. Der eine ist bereit, das Leben loszulassen. Der andere – ein neues Leben in sich tragend. Für Laura fühlt es sich an wie „ein kleiner, stiller Alpumzug“.

Zwischen den beiden entwickelt sich eine tiefe Verbindung. Laura begleitet ihrer Großmama, wenn sie mit ihrem Physiotherapeuten Treppen steigt. Sie sitzt auch neben dem Bett, wenn Großmamas Sendung im Fernsehen läuft. Es entstehen Rituale zwischen den beiden, die ihnen helfen mit der Situation umzugehen. Madame Favre baut körperlich immer mehr ab und ist oft mental verwirrt. Dann redet sie plötzlich mit Laura, als ob sie wieder das kleine Mädchen von früher ist, das gerade den Namen des Schäfchen aussuchen darf. Und dann ist sie wieder ganz klar im Kopf. Es sind Zustände, die jeder kennt, der schon mal einen Menschen während seiner letzten Wochen im Alter begleitet hat.

Traurig wirkt der Roman aber nie. Fanny Wobmann erzählt in einer leichten und bildstarken Sprache. Sie findet vielleicht genau den richtigen Ton für diese tiefgründige Thematik, mit der wir uns alle irgendwann auseinandersetzen müssen. „Das Meer erlaubt es, Verbindungen herzustellen. Zwischen den Orten und den Dingen. Zwischen den Leuten.“, heißt es an einer Stelle. Und das gleiche scheint auch zuzutreffen, wenn man weiß, dass es bald zu Ende geht mit dem Leben. In Laura weckt die Situation im Krankenhaus viele Erinnerungen. Sie erinnert sich an ihre Oma als fürsorgliche Mutter, als Verkäuferin im Kaufladen, als leidenschaftliche Köchin und als Großmutter, die mit ihr rodeln war. Am Ende sagt Laura: „Ich sehe die Frau, die du bist, Großmama.“

Fanny Wobmann - Am Meer dieses Licht

Tag für Tag fährt die Erzählerin Laura nach der Arbeit ins Krankenhaus, setzt sich an Großmutters Bett, geht ein paar Schritte mit ihr, liest ihr vor, hört ihr zu, wenn sie die wichtigen kleinen Geschichten aus ihrem Leben erzählt. Ihr Leben lang hat sie gearbeitet, sich gefügt, bloss nicht lästigfallen, nichts aufrühren. Die Großmutter sieht ihrem Ende entgegen, da machen sich die beiden nichts vor. Auf sanfte und überraschende Weise verschworen, gehen die beiden diesen Weg gemeinsam.

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