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Kirschendiebe oder als der Krieg vorbei war: Buchempfehlung für Enkel

Kirschendiebe oder als der Krieg vorbei war

Der zweite Weltkrieg ist vorbei. Viele Städte wurden ausgebombt und Väter kehrten von der Front nicht mehr nach Hause. Lotte ist elf Jahre alt, als Deutschland versucht sich von dem Krieg zu erholen. Sie lebt mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern in einem Forsthaus auf dem Land irgendwo in Niedersachsen. Dort verbringt sie ihre Zeit am liebsten draußen bei den Tieren oder mit Freunden auf Entdeckungstour. Anke Bärs Kinder- und Jugendroman „Kirschendiebe oder als der Krieg vorbei war“ erzählt von der Nachkriegszeit auf dem Land, wo viele Häuser noch stehen, der Krieg aber zahlreiche andere Spuren hinterlassen hat.

Die Geschichte ist im Jahr 1948 angesiedelt. In 36 Kapiteln erzählt Lotte kleine Anekdoten aus ihrem Leben. Sie erzählt von der grässlichen Familie Greßmann, die in das Forsthaus mit einzieht und das Frau Greßmann die Trauben und Kirschen im Garten zählt, damit Lotte und ihre Geschwister keine klauen. Sie erzählt von der Familien-Kuh Kardeschim, die ihnen Milch spendet, sodass sie nicht die mit Wasser verdünnte Milch im Dorf gegen Essensmarken eintauschen müssen. Und sie erzählt, wie ihr Cousin Lehrer Fettig, der im Krieg ein Auge verloren hat und nicht selten zum Rohrstock greift, einen Lausbubenstreich spielt, indem er eine Menge Maikäfer im Akkordeonkasten versteckt.

Lotte und ihre Freunde verbringen die meiste Zeit draußen auf der Wiese oder im Wald. Sie sind meist unbeaufsichtigt und vertreiben sich ihre Zeit kreativ. Das müssen sie auch, denn in der Nachkriegszeit gab es nur wenig Besitz und wenig Spielzeug für die Kinder. Die Erwachsenen mussten selbst erst den zweiten Weltkrieg verarbeiten und ein Zuhause aufbauen, so gut das überhaupt möglich war. Lottes Vater, einer der wenigen Männer, der zurückgekehrte vom Krieg, ertränkt das Erlebte von der Front im Alkohol. Und auch Lotte hat mit den Lügen der Erwachsenen zu kämpfen. Ihr wird im Schulunterricht gelehrt, dass das fünfte Gebot besagt: Du sollst nicht töten. Wenn sie ihren Vater fragt, ob er jemanden im Krieg getötet hat, antwortet er, dass sich die Gegner immer rechtzeitig weggeduckt haben. Dabei ist Lotte bewusst, dass viel gelogen wird über den Krieg.

Die Schriftstellerin Anke Bär versteht es Kinderaugen durch die Sprache leuchten zu lassen. Probleme wie die Alkoholsucht von Lottes Vater werden in dem Roman nie direkt angesprochen, dennoch erkennt man sie. Kinder drücken die eigene seelische Belastung anders als Erwachsene aus, umspielen sie meistens. Das wird auch in dieser Geschichte deutlich. Die detaillierten Beschreibungen sind oft sehr eindringlich. Soll man zu den Kindern anmutig aufblicken, wie sie den Krieg so spielerisch zu bewältigen versuchen? Oder soll man mit ihnen Mitleid empfinden, weil zwischen den Zeilen deutlich wird, dass auch sie in ihren jungen Jahren psychisch geprägt sind von der Gewalt und Armut im Land? Als die Jungs, die sich oft in eine geheime Hütte zurückziehen ein Brummen vernehmen, rennen sie über die Wiese mit dem Blick in den Himmel gerichtet. Das Geräusch kommt von einem Flugzeug. Die Kinder sind technikbegeistert und verfolgen das Flugzeug. Lotte versteckt sich aber lieber unter einem Baum, weil sie das Brummen des Motors an die Bomber im Krieg erinnert und an die vielen Stunden, die die Familie im Keller verbracht hat. Das unausgeschöpfte kindliche Interesse an Neuem vermischt sich immer wieder mit den Erinnerungen an den zweiten Weltkrieg.

„Kirschendiebe oder als der Krieg vorbei war“ ist ein Roman, der Kinder wie auch Erwachsene fesselt. Die Erzählungen sind mit Bleistiftzeichnungen illustriert, die beim Lesen Freude bereiten. Und auch die Figur Lotte ist eine besondere. Lotte ist rebellisch. Sie will sich nicht dem Patriarchat unterordnen und reizt die Grenzen so gut es geht aus. Sie will auch als Mädchen eine Hose tragen dürfen und am liebsten auch kurze Haare. Zumindest das mit der Hose setzt sie durch. Anke Bär recherchierte für ihren Roman vor allem in der eigenen Familie. Viele der Anekdoten stammen von ihrer Mutter, aber auch von Bekannten oder Personen, denen sie an der Bushaltestelle begegnet ist. Am Ende des Romans findet man eine Bilderstrecke von Spielzeugen, Briefen oder Kinderbücher aus dieser Zeit. Den ein oder anderen Gegenstand findet man heute noch bei Oma zuhause. Der Roman schlägt eine Brücke zwischen zwei Generationen, zwischen Erinnerung und Verdrängung, und das auf besondere und mitreißende Art. Die nicht leichte Kindheit wird greifbar dargestellt mit all den schönen Momenten, die einen durch die schwere Zeit getragen haben. Der Roman regt zum Austausch an. Das wird durch ein kleines Heftlein im Buch gefördert. Dieses erinnert an Freundschaftsbücher, die man in der Grundschule von Sitznachbar zu Sitznachbar reicht. Nur ist es ein Buch für Großeltern und Enkel. Ein Familienforscherheft, das dazu einlädt sich gegenseitig aus der Kindheit zu erzählen.

Kirschendiebe oder als der Krieg vorbei war

von Anke Bär

Alter: ab 10 Jahren

ISBN 978-3-8369-5997-1
Preis: 18.00 Euro

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