Mit deutschen Jugendlichen nach Weissrussland. Was hat das mit Großeltern zu tun? Zum einen könnten die Teenies allesamt Ur-Enkel derjenigen sein, für die sie vor Ort die baufälligen Datschen reparieren. Zum anderen bewegen sich diese jungen Deutschen auf geschichtsträchtigem Boden, hinterlassen dieses Mal keine verbrannte Erde, sondern bringen nun Erneuerung… Gastautorin Heidemarie Blankenstein hat dies eindrucksvoll erfahren und für grosseltern.de aufgeschrieben.
“Es war vor rund 20 Jahren als die Gemeindepädagogin Ulrike Jaeger zum ersten Mal nach Weissrussland kam. Sie packte mit an, als es darum ging, neue Lehm-Häuser für die gesundheitlich gefährdeten, aus der verstrahlten Umgebung von Tschernobyl evakuierten Menschen zu errichten.
“Warum helft ihr nicht uns Alten, uns Großeltern?”
Gemeinsam mit der belarussischen Organisation ÖkoDom entwickelte der gemeinnützige Verein Heim-statt Tschernobyl e.V. im westfälischen Bünde strukturelle Förderprogramme: Häuserdämmung, Windkraftanlagen, Werkstätten und medizinische Stationen. Ulrike war dabei, fungierte als Schaltstelle zwischen Enkeln und Großeltern. Sie arbeitete zehn Stunden am Tag und sperrte dabei Augen und Ohren auf.
„Warum helft ihr nur den Tschernobyl-Geschädigten, warum nicht auch uns Alten, uns Großeltern? Unser Land, unsere Häuser haben zwei Weltkriege erlebt. Unsere Dörfer waren nicht nur von deutschen Truppen besetzt, sie wurden auch zerstört,“ hörte Ulrike erschüttert zu. – „Ich überlege mir etwas und komme wieder“, versprach sie. Fortan waren die Babuschkas und Deduschkas von Belarus ihre Herzenssache.
Sie arbeiten mit Drahtbürsten, Farbeimern, Hämmern
Bald findet sie in Deutschland Jugendliche, überzeugt deren Eltern, fährt 1995 zum ersten Mal in die Nachbarorte der neuen Lehmhaussiedlung Drushnaja. Heute kostet eine solche Reise pro Person 325 Euro. Die Jugendlichen aus Deutschland, die alle Ur-Enkel der betagten Weissrussen sein könnten, renovieren zusammen mit gleichaltrigen Belarussen deren baufällige Datschen. Sie arbeiten mit Drahtbürsten, Farbeimern, Hämmern und Nägeln. Aus alt machen sie neu. Aber nicht nur das.
Diese Teenies aus Deutschland begegnen auf geschichtsträchtigem Boden ihrer eigenen Geschichte. Sie hinterlassen diesmal keine verbrannte Erde, sondern bringen Erneuerung und frischen Wind in die heruntergekommenen Häuser, setzen durch ihre Arbeit für die betagten Zeitzeugen Zeichen der Versöhnung. Dabei ist der erste Anblick der Armut für diese deutschen Mittelschichtskinder überwältigend. Sie lernen einen Lebensstil kennen, den sie – wenn überhaupt – nur noch aus den Erzählungen ihrer Großeltern kennen: Das Wasser wird vom Brunnen geholt, das Plumpsklo wird im Hof benutzt, die Straßen sind ungeteert, das Essen ist einfach nur jenes der Landbevölkerung, Hühner und Katzen gehen im Haus ein und aus, und im nahen See wird gebadet.
“Ihr könnt nichts dafür, was Eure Großväter angerichtet haben!”
Ulrike Jaeger meint, dass diese etwas anderen Sommerferien ohne Frage ihren Horizont erweitern, für mehr Lebenserfahrung sorgen, auch für menschliche Wärme, für wirkliche Begegnung und echte Gemeinschaft. „Kommt in mein Haus und seid meine Gäste, ihr könnt nichts dafür, was Eure Großväter vor über 50 Jahren hier angerichtet haben, kommt herein!“ sagt der Kriegsveteran Michail. Dazu Ulrike Jaeger: „Wir machen die Erfahrung, dass uns viele russische Menschen vergeben haben, dabei ausgesprochen reich sein können, obwohl ihnen manchmal das Nötigste zum Leben fehlt“.
Sie fährt seit 17 Jahren mit Jugendlichen aus Deutschland nach Weissrussland. Über ihre Arbeit hat Sebastian Heinzel einen Dokumentarfilm gedreht: „DIE DEUTSCHEN SIND ZURÜCK – Versöhnungsarbeit und Spurensuche in Weissrussland“. Produzenten sind der Arzt Dr. Ludwig Brügmann und der Deutsche Ex-Botschafter in Minsk/ Weissrussland Dr. Helmut Frick.”
Heidemarie Blankenstein berichtet als Freie Gastautorin für grosseltern.de.